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Unternehmen gelingt es mit Gamification das Problem der Leistungskontrolle zu lösen. Gleichzeitig verlagern sie die faktische Kontrolle über den Arbeitsprozess, von den Führungskräften auf die Arbeitskollegen.

Gamification als Kontrollinstrument in Unternehmen

Gamification bedeutet den Transfer von Spielmechanismen auf nichtspielerische Umgebungen (Stampfl, 2012). Bislang beschreiben Artikel überwiegend die positiven Effekte beim Einsatz dieser Spielmechanismen. Aber es existiert m.M. noch eine zweite, weniger schöne, Seite dieses Phänomens.

Unternehmen nutzen mit Gamification die Interpretationsspielräume in den Arbeitsverträgen. Sie lösen beispielsweise das Problem der Leistungskontrolle und verpflichten mit dem Phänomen Gamification indirekt ihre Mitarbeiter, Spiele zu spielen. So entwickeln Mitarbeiter bei Microsoft ihre Software in Spielsituationen. Unter dem Titel „Bring Some Game To Your Code“ werden Entwickler ermuntert visuelle Kommentare zu Codea ihrer Kollegen abzugeben, was diesen einen entsprechenden Rang auf der Mitspielerliste sichert. Formale Regelungen zur Gamifizierung von Arbeitsinhalten existieren noch nicht, aus diesem Grund besteht derzeit nicht die Möglichkeit, speziell gegen gamifizierte Arbeitsumgebungen zu klagen. Arbeitsverträge, die Beschäftigte ausdrücklich verpflichten zu spielen, sind allerdings auch kaum vorstellbar. Bis vor Kurzem begrenzten Unternehmen durch Sondersituationen wie Trainings oder Events die Teilnahme an Spielen sowohl zeitlich als auch organisatorisch. Allen Beteiligten ist klar, dass ihre Teilnahme endlich ist und sich Inhalt und Rahmen von ihrer regulären Tätigkeit unterscheiden. Ihr Verhalten und ihre Spielergebnisse bleiben im geschützten Rahmen des Trainingskontextes (eine Ausnahme bilden hier nach wie vor die Assessmentcenter). Die Verbindung zur realen Organisation wird über Transferschritte, wie Spielauswertungen, hergestellt.

Die neueren, als Gamification beschriebenen Spielphänomene verstecken nicht länger die Ergebnisse, sondern halten Spielverlauf und Spielstände fortlaufend öffentlich, beobachtbar und bewertbar. So entsteht zwischen den Beschäftigten eine zusätzliche Wettbewerbssituation.

Was motiviert Vertreter von Unternehmen, sich spielerischer Elemente zu bedienen? Im Allgemeinen wird die Steigerung der Arbeits- und Leistungsmotivation angeführt. Dagegen spricht im Grunde nichts. Jeder hat Interesse an motivierender Arbeit. Bei Gamification handelt es sich jedoch um eine neue, Art von Führungs- oder Steuerungsinstrument zur Leistungsintensivierung. Ein Punkt ist die Übertragung von Verantwortung auf den Einzelnen bzw. eine Gruppe von Fachexperten. Richard Edwards (1981) beschreibt ausführlich die historische Entwicklung von Kontroll- und Steuerungsinstrumenten in Unternehmen. Die Kontrollsysteme entstanden aus Veränderungen in den Unternehmensgrößen, dem Wandel in der Arbeitstätigkeit und den veränderten Bedingungen in der Unternehmensumwelt. In den heutigen, hochgradig arbeitsteiligen und spezialisierten Organisationen werden Aufgaben an gut ausgebildete Experten vergeben. Experten, die sich nicht mehr einfach von ihren Führungskräften steuern lassen. Letzteren fehlt oftmals die Fachkompetenz, auch ist die Komplexität der Aufgaben zu hoch, oder die Mitglieder der Teams arbeiten dezentral, manchmal sind sie sogar weltweit verteilt. Die Steuerung und Kontrolle von Arbeitsinhalt und -intensität wird so für die Führungskräfte immer schwieriger oder kann lediglich formal geregelt werden. Da bieten Gamification-Strategien durch die kollektive Selbststeuerung der Beschäftigten, die noch dazu selbstreflexiv stattfindet, einen Ausweg. Wer könnte genauer und zeitnaher die Leistung eines anderen beurteilen als der jeweilige Mitspieler?